Kapitel 6, Vers 12/1

<Es begab sich aber - zu der Zeit!> Ausgerechnet zu d e r Zeit, als sie sich gerade zu bereden hatten, was alles zu tun sein würde - gibt es einen Zusammenhang zwischen dem, was gerade geschehen war und: <daß er auf einen Berg ging, um zu beten.> Davon hieß es: <und er blieb über Nacht im Gebet zu Gott!> Er ist wieder einmal fortgegangen, er hat die Menschen hinter sich lassen müssen. Er braucht einen Berg für sein Beten, er ist fortgegangen, er kann sie verlassen, ohne zu vergessen, daß sie auf sein Zurückkommen warten. Vielleicht hat ihm einer die Worte eines alten Liedes nachgesprochen: <Dein Weg ging durch das Meer und dein Pfad durch große Wasser - doch niemand sah deine Spur!> Er brauchte einen Berg für sich allein, um beten zu können. Um den Weg durch das tiefe Wasser, durch ein ganzes Meer bestehen zu können.

Noch gewahrte niemand die Spur, außer dem, der ihn aus den Tiefen riß, damit er wieder auftauchte zum Licht hin und in die Luft, die Atem geben würde nach einer Nacht, ganz alleine auf dem Berge, wo er ihnen allen entnommen war - für eine Nacht.

Die Nacht hat nach ihm gegriffen. Worte waren Wirklichkeit, die Wirklichkeit wurde zu Worten: zum Beten einer Seele, eines Lebens: <Du! Du führst dein Volk!> Mose und Aaron redeten so. Es wurde schon undeutlich in der Geschichte, die verdunkelt und verschluckt wie ein großes schwarzes Wasser, unergründlich; schwer ist es, noch einmal hervorzuholen, was verschwunden ist, wenn erst die Wellen sich darüber geschlossen haben und weiterrauschten zu fernen Ufern, an denen sich alles Vergessen und Untergehen bricht.

<Meine Hand!> hat es da gerufen, in der Nacht, auf dem Berg unter dem großen tiefen Himmel, fern von allen Menschen.

Ein einzelnes Ich streckte seine Hand aus, in der Nacht, in der dieses ‚ich’ alleine lag - auf der Höhe des Berges, im Beten unter dem Himmel, der unendlicher ist als alle Meere auf der ganzen Welt. Eine Seele, ein ganzes Leben ist dem Beten hingegeben und singt und spricht sich aus.

Da gilt auch ein ‚Weil’: Weil Gott sein Volk führt wie eine Herde, und sich Hirten dazu aussuchte, seine Herde zu führen, deshalb liegt die Angst in der Nacht auf einem Herzen.

Das Leben spricht in der Hingabe in der Nacht, unter dem dunklem Mantel der Nacht und unter dem Licht der Sterne: es genügt, daß die Worte aufsteigen, aus einer Seele das Wort sich entringt: Damit es aufsteigt bis dorthin, wo es gehört wird und Annahme findet:

<Aber du! Sei du mit mir um deines Namens willen! Deine Gnade ist mein Trost!> Aber die Wahrheit seines Daseins ist: <Ich bin ihnen zum Spott geworden; wenn sie mich sehen, schütteln sie den Kopf!> <Aber es spricht auch auf dem Berge, als die Nacht vergeht: <Laß sie innewerden, daß dies deine Hand ist, und du, Herr, das tust!> (Ps 109)

Die Sonne wird aufgehen. Für einen neuen Tag gilt: <Gott, mein Herz ist bereit! Wach auf meine Seele!>

Worte finden ihren Widerhall in den Augen, die in den Himmel sehen und die andren schon um sich herum wissen, die auch ihre Augen zum Himmel richten. Sie blicken zum Himmel, als ob sie sehen wollen, ob es stimmt, was ihnen eben von einer fernen Stimme zugeweht wird: <Ich singe wach das Morgenrot! Ich will das Morgenrot wecken!>

Jeder von ihnen weiß die Worte: <Ich will dir lobsingen unter den Menschen, denn deine Gnade reicht, so weit der Himmel ist - und deine Treue, so weit die Wolken gehen!> (PS 57)

Und es weiß doch ein Mensch, der aus der Nacht kommt, daß die Wolken weit werden ziehen müssen, damit eine andere Seele, ein anderes Leben von der ‚Treue Gottes’ erreicht werden kann. So schön es ist, wenn die Sonne aufgeht nach der langen Nacht, so schön es ist, den Wolken nachzusehen, so schön der Anbruch des Tages ist: Es sind so viele, für die gilt: ‚Lass sie errettet werden!’ ‚Gott! Strecke deine Hand aus - oder nimm meine Hand dafür, damit geschehen kann, wofür wir bitten: < Hilf mit deiner Rechten! Und erhöre uns!> (Ps 108)

Ein Mensch war im Einklang mit seiner Welt, als er der Sonne entgegensprach: ‚Erhebe dich!’ Als er sang: <Ich rufe wach das Morgenrot, ich will das Morgenrot wecken! >

Ein Mensch barg sich in der Nacht, um heimlich zu beten.

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