Kapitel 2, Vers 41/1

ein Schritt über die Grenze

Er geht dahin, wohin sie alle wandern, einmal im Jahr, oder einmal im Leben, wobei sie ihre Sehnsucht zieht, sich der Vergangenheit zu erinnern.

Es ist ein Brauch; aber immer, wenn gehandelt wird nach der Gewohnheit und nach den Vorschriften, wird der Schauder vor einer Gefahr, die unsichtbar und kaum erinnerbar um sie lauert, spürbar, wenn geschlachtet wird am Abend und wenn gelesen wird: <Sie sollen von seinem Blut nehmen und die obere Schwelle damit bestreichen an den Häusern, in denen sie’s essen>?

Das, was auf den Wegen näherkommt, sich heranmacht auf den Gassen und den Straßen, wo am Tag sich das Leben bewegte jetzt, zum Beginn dieser Nacht, wartet es wieder draußen. Gemeinsam essen sie, was am Feuer gebraten wurde und halten zusammen gegen das, was das Blut gewahrt an den Pforten, durch die ihr Leben ging. Draußen das nährt sich von Fleisch aber sein Hunger geht nach anderem als nach dem Fleisch eines Tieres umher. Geht es vorbei an den Pforten mit Blut gezeichnet, wo kein anderes Blut mehr fließen muss?

Kein Festmahl der Geborgenen ist die Nacht dieses Essen.

Allen Teilnehmern ist auferlegt: <So sollt ihr’s aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an den Füssen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen als die, die hinwegeilen!> (2. Mose 12,11)

Da kommt dann das leise Aufsteigen der Angst, die einen von hinten kalt berührt und ergreift, die Kinder das Unmögliche denken läßt: dass es auch ein „Brot des Elends“ gibt, dass geboren werden und sterben am Rande eines Weges in vielen der Geschichten für Viele Schicksal war.

Wenn die Sonne untergeht, die bisher gewacht hat, die Nacht aufsteigt und mit ihr eine Finsternis kommt, gegen die das geringe Licht der Menschen nicht aufkommt, dann muss der Gedanke gedacht werden, dass einmal ein letzter Tag kommt, wo die Sonne Abschied nimmt und versinkt im Meer der Finsternis für immer. Die Worte der Vergangenen hatten die Angst immer wieder erweckt, wenn die Mitternacht heraufgezogen kam, um sie wachend anzutreffen: - ‚sie und ihre Nachkommen’, bereit, zu gehen.

Die Schatten jener Nacht liegen auf ihnen, vielleicht gedämpft, schon lange nicht mehr klar erkennbar, aber zu erspüren und ein Gespür vernimmt noch immer das Geschrei der Anderen, <denn es war kein Haus, in dem nicht ein Toter war.>

Es ist dunkel draußen und bei ihnen drin ist es hell. Er würde nicht hinausgehen, wenn ein Engel umging, der nach Kindern sucht. Es sollte nach der alten Geschichte immer der sein, der allen voranging, der Erstgeborene, der Mutter und dem Vater am nächsten, der Hüter seiner Brüder und Schwestern. Oder der, der ihnen allen im Wege war, vielleicht. Es war ein alter Brauch und ist ein altes Fest.

Sie wandern in die Stadt, die den alten Namen hat und an deren Mauern die Geschichten noch hängen, die sein Leben begleiten, und da sind die Gebete und die Gesänge, und da sind auch die alten Männer, welche die Erinnerungen hüten und den Wegen nachsinnen, die ins Dunkle führen. Da ist das Leuchten des Tempels, sein Glanz und das Rauschen der vielen Stimmen und der Staub und der Geruch nach Rauch. Über allem ist das Fremde einer alten heiligen Stätte, über die so viele Füße, so viele Worte hinübergegangen sind.

Jedoch, in den flirrenden Strahlen des Lichtes, hinter den Stimmen der Vielen hebt sich eine Stimme und spricht Worte, deren Widerhall er kennt: <Tu weg den Kopfputz und nimm ab die Krone! Denn nichts bleibt, wie es ist. Was hoch ist, soll erniedrigt werden und was niedrig ist, soll erhöht werden!

Zu Trümmern, zu Trümmern, zu Trümmern will ich sie machen!> (Hes 21,31)

Die Stimmen umher werden leise, als lege sich eine Hand auf sie, nähme die Menschen und ihr Bewegen fort, alles, was schwieg, wird laut, nun steht die große alte Stadt vor ihm, wie eine Frau, geschmückt und schön und mächtig. Sie nimmt die strahlende Krone von ihrem Kopf, löst den Kopfbund und Asche fließt über ihre Haare.

Denn nichts wird bleiben, wie es war. Dunkelheit fällt über alles, und die Stadt der Trümmer und der Toten ist stumm. Die Wüste wandert herein. Über der Wüste standen damals die Sterne, vor langer Zeit. Ein tiefer Schlaf war hervorgekommen aus den Wassern, die unter der Erde sind, und über der Erde, und einen umgeben wie warme starke Hände, einen tragen, einen zudecken und einen bewahren, damit der Atem gehen kann.

Und es wird auch wieder Tag und wieder Nacht.

„Aber auch dies wird nicht bleiben“, sagt die Welle, die ihn trägt. Da liegen dunkle, schwere Leiber zur Rechten, zur Linken, ein Weg fließt in der Mitte als breiter Strom voller Kraft und voller Lust. Über dem wüsten Land strahlt auf ein Licht und strahlt ihm entgegen. Der Hauch eines Atmens hüllt ihn ein wie in einen Schleier, Lichtes und Dunkles sind eines geworden und sagen: „Bis der kommt, der das Recht hat!“ Und da, wo kein Licht hinfällt, spricht es doch ganz deutlich: „Du bist es nicht, der kommen soll! Ihr seid es nicht, die kommen sollen! „

Und es spricht: „Du hast ein Recht, du bist der, der kommen soll!“ Und die Augen schließen sich vor dem Licht und vor der Stimme. Da lächelt sein Mund und er sieht die Frau, die den Namen der Stadt trägt und keine Krone mehr hat und weinen wird.

Das Blut der Schafe und Ziegen hat seine Kraft verloren, um die Türen und Pforten zu schützen; nun muss ein Erstgeborener hinaus in die Nacht, um sich mitnehmen zu lassen in die Finsternis, welche draußen lauert.

Ein Vater hatte auf ihn gewartet, damals, als Josef wie der bunte Vogel, im Gewand, das sein Vater ihm gegeben hatte, unter die Brüder geriet. Er hatte dann gewartet, dass sein Vater ihn rufen wird, aus der Ferne nach ihm rufen wird.

Ein Vater würde verlangen, ihn heimzuholen, wenn auch nur für einen Augenblick, damit er nicht alleine war in seiner Welt, wo er das Wort des Vaters trug und nicht vergessen hatte, woher er kam.

Aus der Ferne des längst versunkenen und vergangenen Tages nahen sie sich ihm, brechen ihm Brot, damit er wieder essen kann und heben den Becher an seine Lippen, damit er wieder weiß, wie trinken ist und das Leuchten von weit draußen oder drinnen macht ihn satt und gibt ihm Frieden. Der Kreis ist nun geschlossen, wieder sind sie für ihn da, nehmen sein Leben in ihre Hände, Hüter seines Ferneseins und Wächter über sein Schlafen und Erwachen in der Welt des Vaters.

So ist er wiedergekommen, öffnet die Augen und blickt sie, die mit ihren Augen über ihm sind, als Wiedergekehrter an.

Stimmen rufen ihn bei seinem Namen, leise berührt ihn dieser Name.

Ein Anderes hatte gesprochen, was noch immer in ihm klingt: „Ich habe dich gerufen, fürchte dich nicht, jetzt, denn ich erlöse dich - und ich rufe dich bei deinem Namen! Du bist mein!“

‚Ich rufe dich’, hatte es gesagt und es war in ihn eingedrungen und hat die Furcht genommen und alle Angst. Stimmen rufen ihn nun auch bei Namen. Fragen binden ihn wieder an den Ort, den sie den Tempel nennen und der den heiligen Raum der Stille umgibt. Was er gesehen und gehört hat, was er in sich aufgenommen hat, das geht nun langsam ein in die Worte, die er daher nimmt, von wo die Geschichten und die Lieder alle hergekommen sind, die ihm das Kleid der Sprache gaben, und in denen er von ihnen erkannt und angenommen werden soll.

Da ist auch der Mann, der sein Vater ist und da ist auch die Frau, die für ihn die Mutter ist und er weiß ihre Frage und er kennt ihren Schmerz. Das Wundern des Anfangs ist wieder um ihn, als sie ihn danach fragen, was ihnen allen deutlich sein müsste. Aber er muss es ihnen sagen, weil die Worte nur die Brücke sein können, wenn die Kraft nicht ausreicht, um in den anderen einzugehen: <Musste ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist?>

Warten folgt und Schweigen fällt.

Von weit her ist er gekommen, um wieder durch die laute Stadt zu gehen und das Land wiederzufinden. Und dann <ging er mit ihnen hinab und kam nach Nazareth.> Aber die Mutter löschte nicht alles aus, was er ihr mitgebracht hatte, von da, woher er gekommen war. Er war bei seinem Vater gewesen.

Nun würde er bei ihnen bleiben, bis es an der Zeit war, dass er gehen würde, einen Stab in der Hand und die Schuhe an den Füßen. Manchmal war es, als spräche es mit den Stimmen fremder Menschen aus ihm und als sähe er hin zu einer anderen Frau, die ihm Mutter war und als streife er mit einem Blick das bunte Gewand ab, das über dem Lande liegt, um dann hineinzusehen in das, was wirklich geschehen wird.

Er findet Worte, in denen sich längst zur Wüste gewordene Gärten beleben und einem wiederbringen, was schon als verloren galt. Dann sind sie ihm zugetan, weil sie fühlen können, wie zugetan er ist allem, was Leben hat und ihm Gerechtigkeit zukommen lassen will.

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